Shirana Shahbazi

«Ein Raum, den wir verstehen und beherrschen»

Tirdad Zolghadr im Gespräch mit Shirana Shahbazi

 

Ausgehend von der Fotografie steht in Shirana Shahbazis Werk die materielle und epistemische Erforschung des Mediums oft im Vordergrund. Ihre Arbeiten, die häufig klassische Genres der Studio- und Reisefotografie zitieren, sind auch als grossformatige Billboardmalerei, als Stillleben oder aber in Form semiabstrakter Formen und Farbflächen und als räumliche Installationen ausge­stellt worden. Zudem ist Shahbazi aktives Mitglied des INES (Institut Neue Schweiz) wie auch des MEDIUM-Kollektivs (ehemals SHAHRZAD), in Zusammenarbeit mit Rashid Tehrani und Golmohamad Rahati. Trotz dieser Vielfalt ist Shahbazi in Bezug auf ihre künstlerischen Positionen für ihre kompromisslose Stringenz bekannt; so sagte sie einst zu ihrer Arbeit: «Kunst ist nicht ver-handelbar. Streite dich nicht mit ihr. Schau sie dir nicht einmal an. Führe sie einfach mit nach Hause, wie eine blökende Ziege.» Die folgende Unterredung wurde am Nachmittag des 2. Februar 2019 in Berlin-Friedrichshain aufgezeichnet, inmitten einer anhaltenden Dunst-wolke von Misstrauen, Mentholzigaretten und stickigem Latin Jazz. Sie wird hier in stark verkürzter Form wiedergegeben.

 

Beginnen wir mal ganz klassisch. Woran arbeitest du gerade?

Oh Gott. Okay, können wir zu Frage zwei gehen? Ich bin gerade von einem dreimonatigen Aufenthalt in Indien zurückgekommen. Mit der Reise habe ich an der Arbeits­weise angeknüpft, wie ich vor vielen Jahren gearbeitet habe. Können wir noch mal neu anfangen?

Nein.

Gut. Du willst es ganz konkret wissen? Ich will mit den Bildern aus Indien an einem Buch arbeiten.

Ist die Arbeit dokumentarisch? Geht es hier um diesen, na ja, diesen Heisshunger nach neuen Reisegelegenheiten, dieses fotojournalistische it’s a scoop? Kniest du dich in so was rein, oder ist das eher so eine …

Nein.

… ist denn eher eine Abstrahierung am Werk? Wie funktioniert das, wenn du so herumläufst mit dem Apparat?

Sag noch mal deine Frage genau.

Wenn du in einer Stadt herumläufst, nach dem Motto, «wer reist, hat eine Geschichte zu erzählen», ist es die Reise an sich, die dich treibt, im Sinne von: «okay, ich dokumentiere jetzt eine ausserordentliche Situation»?

Es geht ja um einen Ort, den ich gar nicht kannte, und der auch bildmässig gar nicht noch vorbelasteter sein kann. So entsteht die Herausforderung, wie du dir visuell einen solchen Ort aneignen kannst, ohne fremdbestimmt zu werden. Ich war ohne bestimmtem Thema oder Fokus unterwegs. Ich könnte sagen, das, was mich interessiert, ist nicht an einen spezifischen Ort gebunden. Daher war für mich tatsächlich die Hauptmotivation die Reise, wie ganz oft – auf eine sehr persönliche Art. So entsteht ein Freiraum, den ich mir in erster Linie als Künstlerin, aber auch als Mutter nehmen will. Ja, und dann geht es natürlich immer um die Frage der Medien, mittels deren ich mit der jeweiligen Realität arbeite.

Tolles Stichwort.

Das ist eine Frage, die mich durchs Band begleitet. Wie setze ich mich mit einer Wirklichkeit auseinander, ausgerechnet mit dem Medium der Fotografie? Ich glaube, ich habe nie eine Arbeit gemacht, bei der es nicht um diese Auseinandersetzung ging.

Es ist überraschend, dass du diese Worte so locker in den Mund nimmst. Wir kennen uns nun schon recht lange, und als wir in diesem Feld zu arbeiten begonnen haben, war damals der herrschende Ton: An so etwas wie Wirklichkeit zu glauben, ist naiver Quatsch. Wirklichkeit kann man allenfalls gebrochen-ironisch wiedergeben. Aber wir haben ja vorhin über Trump gelästert, und ich glaube tatsächlich, die Realität hat ein Comeback gewagt.

Selbst wenn ich im Studio arbeite, beschäftige ich mich ja mit wirklichen Dingen, und stelle wirkliche Dinge dar. Man spricht gerne über Abstraktion als eine Art Losgelöstheit von der Welt, aber ich habe immer insistiert, dass das so nicht stimmt. Es ist ja trotzdem ein Abbild des Realen, allerdings – da kannst du mich ja eines Besseren belehren – habe ich noch nicht herausge-funden, wie ich ungebrochene Realität darstellen kann. Jedenfalls hat das Medium, das ich beherrsche, den Nachteil, dass ihm die Konfrontation mit etwas Wirklichem als Voraussetzung innewohnt. Daran reibe ich mich, seit wir uns kennen.

Hat sich diese Reibung seit den Neunzigern nicht doch verändert?

Das letzte Mal, als du einen Text zu meiner Arbeit geschrieben hast, war ja gerade das Ende eines dieser natürlichen Zyklen, die sich bei der Arbeit ergeben. Seither heisst es jetzt mal wieder raus aus dem Studio. Und was dann? Da draussen, det unne? Um was für eine Art von Konfrontation kann es denn gehen? Zu sagen: «Nee, das ist alles too much und zu gross, und ich kann das eh nicht abbilden», das ist dann doch ein easy way out. Und trotzdem: Um welche Wahrheit soll es denn gehen, wenn man die sogenannte Wirklichkeit, gebrochen oder eben ungebrochen, wiedergibt?

Wie sieht die Reibung aus an einem Ort wie Teheran, wo du mehr Zeit investiert hast als zum Beispiel in Bombay? Würdest du sagen, «na ja, der Blick in Bombay ist einfach touristisch, dazu steh ich, sei’s drum», oder verlangst du dir trotzdem eine andere Messlatte ab?

Natürlich finde ich zuerst einmal über eine absolut touris­tische Oberfläche Zugang. Was ich aber daraus mache, da habe ich nichtsdestotrotz eine andere Messlatte. Da kann und muss ich den thematischen Bogen ein bisschen globaler und auch persönlicher spannen. Wie setze ich mich mit dem Moment der Erinnerungen und Erzählungen auseinander? Wie ist eine Abbildung technisch umge­setzt und was kann sie beim Betrachter auslösen? Und um zurückzukommen auf deine Frage zu Teheran …

Zürich könnte genauso herhalten als Beispiel.

Sieht einfach weniger gut aus.

Da hast du eine zeitliche Vertiefung, die dir den touristischen Blick sogar verunmöglicht, auch wenn du ihn wolltest. Trotzdem hast du Zürich immer wieder fotografiert.

Du meinst die ganzen Studioarbeiten? Das sind jetzt meine Zurich-Works, ja?

Vielleicht, ja.

Die Themen sind natürlich je nach Ort unterschiedlich. Man denkt immer Kontext und Betrachter mit. Aber grundsätzlich habe ich schon sehr früh eine gewisse Distanz zwischen der Arbeit und mir selber aufgebaut.

In meiner Praxis als Schreiberling und Kurator ist das entscheidend. Ich habe irgendwann gelernt, dass die Trennung für die eigene geistige Gesundheit klar festgelegt werden muss. Da ist die Arbeit, da bin ich.

Und als Künstlerin ist es sehr unromantisch, so was zu tun.

Ach komm, du kannst dich doch ein bisschen entmystifizieren.

Habe ich schon immer. Und für mich war eigentlich seit jeher alles eher unsentimetal.

Von Anfang an?

Schon die erste Arbeit, die ich damals in Teheran gemacht habe, war ja eine sehr medienspezifische Arbeit. Aber ihre Rezension hat mir vor Augen geführt, dass ich meine eigene Person da herausradieren muss.

Ich finde es erfrischend, dass du das sagst …

Aber es war doch nie anders. Deswegen verstehen wir uns ja auch so gut! Selbst wenn unser Zugang zu Kunst – wenn wir ehrlich sind – unterschiedlicher nicht sein könnte. Während du dich den politischen Herausforderungen innerhalb des Kunstkontextes auslieferst, trenne ich zwischen meinem Werk und meiner privaten beziehungsweise politischen Person.

Privat politisierst du stärker, kniest dich rein, regst dich auf und so weiter. Das kann keiner anhand deiner Arbeit wissen.

Nee.

Gäbe es für mich hier die Chance, dich zu überzeugen, propagandistischer zu werden?

Innerhalb der Kunst?

Ja.

Glaube ich nicht.

Ich finde es zugegebenermassen angenehm, dass du diese klare Trennung machst. Das konventionelle Künstlermodell ist ja: « I am fascinated by this and you’re supposed to be fascinated by my fascination.» Wenn du sagst, bei mir dreht es sich nicht um persönliche Faszination, dann geht es vielleicht eher um ein automatisiertes Muster, ein …

Bei meinem Künstlerin-Sein?

Ja.

Das Werk werde ich jetzt auf keinen Fall entmystifizieren. Da bin ich natürlich eitel.

Na gut, aber was ist denn mit diesen in der Schweiz dringenden Themen, die dir doch sehr am Herzen liegen: Migration und weiss der Geier.

Klar, es gibt Themen, die mich umtreiben. Aber die Ge­spräche dazu drängen sich nicht auf. In unserem Kuchen ist es sogar schwierig, das Kind beim Namen zu nennen. Und ich will diese Themen nicht ausklammern, aber ich wüsste nicht, wie meine künstlerische Arbeit sie reflek-tieren könnte. Wenn es um das Schulsystem oder um Rassismus in der Schweiz geht, dann ist meine Fotografie ein armseliges Medium, um die Dinge zu verhandeln.

Lass uns kurz darüber reden, was im Ausstellungs-raum passiert. Ganz am Anfang hast du gesagt, das eine sei das, was beim Knipsen passiert, danach komme es darauf an, was du im zweiten Schritt daraus machst.

Die Arbeit ist noch nie beim Fotografieren entstanden.

Vielleicht könntest du ganz simpel und didaktisch ein paar Arbeitsschritte aufzählen. Was passiert nach dem Knipsen?

Also …

Du besprichst erst mal alles mit deinem Mann!

Ich bespreche so ziemlich alles mit ihm, schon bevor ich überhaupt anfange! Und dann ergibt sich viel über den Arbeitsprozess. Also. Ich arbeite unterschiedlich. Es gab eine erste frühe Phase, in der ich auf Reisen arbeitete, dann die Zeit im Studio, und jetzt das Zurückkommen auf die Reise, die Auseinandersetzung mit Medium und Drucktechnik und so weiter. In der ersten Phase hatte ich die Bilder halbwegs inszeniert und sehr explizit das gesucht, was ich wollte. Ich ging von Gedanken aus und nicht von einer Wirklichkeit, die es festzuhalten galt. In der zweiten Phase dachte ich mir ebenfalls etwas aus, einen Anfangspunkt, brachte meine sieben Sachen zusammen, schleppte sie an und dann kam das Set-up. So entsteht dieses Prozesshafte, woraus sich jeweils die nächsten Entscheidungsschritte ergeben. Du pro­bierst Dinge aus, wechselweise im Labor, im Studio, in der Druckerei und so weiter.

Ab wann kommst du mit anderen ins Gespräch? Machst du die Auswahl alleine, hast du Assistenten oder Assistentinnen – oder machst du das wirklich mit deinem Mann? Ganz fürchterlicher Typ.

Es gibt ein paar wenige Freunde, mit denen ich mich austausche. Aber ich spreche hauptsächlich mit meinem Mann. Vor allem frühmorgens, bevor er ins Lacrossetraining fährt.

Du zerrst ihn diese Tage als Arbeitspartner vermehrt ins Rampenlicht. Mich interessieren solche Arbeits-umstände. Du hast zwei Töchter. Wie viele Stunden am Tag arbeitest du und wie viele Stunden kann man bei deiner Arbeitsweise überhaupt kreativ sein?

Unter diesen Umständen – als freischaffende Künstlerin zu arbeiten und gleichzeitig Kinder grosszuziehen, in einem Land wie der Schweiz, wo Kinderbetreuung und Berufstätigkeit nicht zum Selbstverständnis einer Mutter gehören – braucht es viel Disziplin, um sich Freiräume zu schaffen. Denn man jongliert ständig organisatorische Fragen. Die Stunden, die ich – vom Businesskram und den ganzen E-Mails abgesehen – der kreativen Tätigkeit widmen kann, sind überschaubar. Andererseits hätte ich durchaus mehr Zeit zur Verfügung, aber ich lasse mich einfach gerne ablenken. Ich habe ja nie so fokussiert gearbeitet wie du als Schreiberling in deinen Morgenstunden. Mein Output ist begleitet von vielen leeren Stunden, Tagen und Wochen. Sehr kitschig und nervig, aber sei’s drum. Der eigentliche Output entsteht in relativ kurzer Zeit, wenn das deine Frage beantwortet. I love deadlines.

Und dann geht es, je nachdem, um eine Ausstellung oder um ein Buch oder beides.

Genau. Diesen Kontext brauche ich, weil ich doch sehr räumlich denke. Deswegen sind Bücher so angenehm, weil wir uns hier die Dinge in relativer Unabhängigkeit ausdenken können. Ein Raum, den wir verstehen und beherrschen.

Dabei kann man in einer Ausstellung die Zuschauer viel eher manipulieren als in einem Buch. So was macht gerade auch das Kuratieren sehr reizvoll.

Kommt darauf an, wie gut das Buch gemacht ist.

Die Vorteile einer Ausstellung sind Stimmung, Aura, Architektur – dieses Beobachten und sich dabei von anderen beobachtet fühlen.

Natürlich, mit dem physischen Raum hast du die Wucht oder die sogenannte Aura des Werks, das dich von der Wand anglotzt, dich festhält, verführt – was auch immer man für da für Tricks auf Lager hat. Womöglich auch noch die Filmmusik oder die Dunkelheit der Black Box und so weiter.

Worauf ich hinauswill, ist, dass man trotz all dieser Tricks, die man auf Lager hat, als Künstlerin brav vorgaukeln muss, dass die Zuschauer selber irgend­was zurechtinterpretieren dürfen. Dass man einen Freiraum aufmachen möchte und so weiter. Was der Realität einfach nicht entspricht.

Nein, nein. Das kann man ja anders aufgreifen. Ich weiss, dass dich das nervt.

Was geht für dich bestenfalls seitens der Zuschauer unter die Haut? Was ist deine Fantasie?

Natürlich will ich nicht irgendeine Leerfläche schaffen, wo man sich ein bisschen feelgoodmässig reingibt, und dann macht jeder, was er will. Ich nutze ja den Raum und seine Inszenierung als Teil der Arbeit, wie eine Szenografie. Das Medium der Fotografie hat etwas Unmittelbares. In einem Bruchteil von einer Sekunde siehst du ein Bild. Was ich versuche, ist, Zeit einzufordern und den Betrachter auf irgendeine Art dazu zu zwingen, bei der Arbeit zu verbleiben und eine Fotografie, ein Bild länger anzuschauen, als man dem Medium eigentlich zuspricht. Um zu verstehen, was man da betrachtet, um zu verstehen, wie eine Abbildung des Realen aussieht und was das überhaupt soll. Andererseits habe ich immer das Gefühl, ich könne gar nicht so genau sein. Und will es gar nicht sein. Nicht dass ich mich aus der Affäre ziehen will. Aber eine Arbeit auf unterschiedliche Art zugäng-lich machen, heisst ja nicht, dass sie sich völlig auflöst in einem Dunst von whatever. Denn als whatever-Dunst wird meine Arbeit manchmal auch rezipiert. Zugegebe­nermassen trifft mich das am meisten, denn sie ist doch genauer als das.

Ich will auf deine Behauptung zurückkommen, dass du als Privatperson gewisse politische Prioritäten hast und dass du diese fein säuberlich von der Arbeit trennst. Das nehme ich dir nicht ganz ab.

Echt?

Nehmen wir zum Beispiel die Porträts von Frauen. Da sehen wir einen bestimmten Typus Frau – das ist nicht irgendeine Frau, da wird dein Feminismus spürbar. Und ich glaube auch, dass du genau weisst, dass, wenn jemand sich deine Iran-Bilder ansieht, letztendlich da rausläuft mit dem Eindruck, man hat etwas über den Iran erfahren. Hat man ja auch. Selbst wenn die Ausstellung noch so grosse selbstironische Anführungsstriche bietet und blinkende konzeptuelle Warnzeichen, bellende Schäferhunde und Sirenen, von wegen, «Achtung, das ist hier nicht ungebrochener Iran».

Gerade deswegen war es für mich auch lang schwierig, im Iran zu arbeiten. Erst vor zwei Jahren habe ich dann doch in Teheran wieder eine Arbeit gemacht.

Aber was ist denn daran so schlimm, wenn man das Privileg hat, einem Publikum auf somatische, sinnliche, unbewusste Art und Weise etwas beizubringen? Warum nicht solche Sachen selber anpacken, als sie irgendeinem Trottel zu überlassen, der das kitschiger und oberflächlicher macht als du.

Weil meine Mittel zu limitiert sind. Wem will man denn genau eine Story erzählen und welche?

Aber wir haben doch gerade festgestellt, dass die Leute dir vieles abnehmen. Die Bilder sind stark und intelligent und verführerisch. Also nehmen sie dir das ab. So limitiert ist das alles nicht. Es ist ein bestimmtes Weltbild, das vermittelt wird. Eine kosmopolitische Komplexität.

Ja, ja, genau. Das ist jetzt wichtig. Eine komplexe Identität zu behaupten, ist auch eine sehr relevante Forderung im heutigen Schweizer Kontext.

Und das ist dann schon ein politisches, ein, wie soll ich sagen …

Statement. Anliegen. Ja.

Na also.

Und wie kann ich so etwas mit Fotografie darstellen?

So wie du das eh schon tust.

Die Behauptung und Einforderung einer nicht eindeutigen Zugehörigkeit, einer nicht eindeutigen Wirklichkeit, ist wichtig und zeitgemäss. Das Bild, das innerhalb der Schweiz von der Schweiz gezeichnet wird, die Selbst­wahrnehmung, sie entspricht nicht der eigenen, gesell­schaftlichen Realität. Aus diesem Grund freue ich mich ganz besonders, den Prix Meret Oppenheim ent­gegenzunehmen. Das sind gerade die Orte und Bilder, die wir besetzen wollen. Wenn man bedenkt, dass in der Schweiz heute rund ein Viertel der Bevölkerung kein Bürgerrecht hat – schlicht, weil die Schweiz die strengs­ten Einbürgerungsgesetze Europas hat. Weisst du, neulich stand wieder irgendwo «die iranisch-deutsche Künstlerin Shirana Shahbazi». Meine Tochter sass neben mir und ich sagte: «Ach, wann kann man denn endlich schreiben ‹die Zürcher Künstlerin Shirana Shahbazi› »? Da sagte die Kleine: «Oh, das willst du sein? Ist ja voll langweilig.»

Ich wäre mit ihr einverstanden.

Ja, ja, genau. Das stimmt. Und dennoch geht es um eine bestimmte Perspektive, an der etwas nicht stimmt – und zwar über den Kunstkontext hinaus.

Aber das sahen du und ich lange gar nicht so.

Letzte Woche begegnete ich im Hallenbad einem Künst­lerkollegen im Wellnessbecken. «Hallo! » «Hallo! » Da dreht sich sein Sohn um und fragt: «Papi, isch das d’Putzfrau? » Man ist halt im Blubberbad, versteht schlecht und der Papi fragt: «Was? » So schreit der Sohn noch lauter: «Isch das d’Putzfrau? » Da fragt Papi erneut: «Was? » Worauf ich ihm sage: «Er will wissen, ob ich eure Putzfrau bin.» Sagt der Papa: «Nei, das isch nöd d’Putzfrau. » Und ich versuche mich vor meiner Massagedrüse dennoch zu entspannen, während sie davonpaddeln und ich darüber nachdenke, welche Bilder repräsentieren in diesem Land eigentlich was? In dieser Hinsicht haben Fragen der Repräsentation doch sehr viel mit mir zu tun, aber in einem grossen Kunst-kontext wird vieles plattgedrückt. Ich habe mich später gefragt, wo wohl der kleine Junge in die Schule geht. Anstatt über das eigentliche Grundphänomen zu reden, über die Reflexe, denen das arme Kind ausgesetzt ist, spricht man lieber darüber, dass die Putzfrau halt zufällig Portugiesin sei, leider. Es geht ja hier nicht um die eine Situation, sondern um strukturelle Mechanismen, denen man sich scheinbar naiv hingibt. Es geht um Skandale, über die man nicht einmal in einem Zwiegespräch richtig reden kann. Geschweige denn in einer hübschen White-Cube-Ausstellung. Da bekomme ich in einer Sitzung des Elternkomitees im Quartier viel eher den Eindruck, dass etwas Konkretes und Wichtiges passieren kann. Deswegen trenne ich die Sachen.

Das Problem ist, wir sind selber schon privilegiert und unser Publikum ist oft noch privilegierter als wir. So kann man nur schwer über diese Themen quatschen. Es ist wie sex talk unter Jungfrauen. Das Verflixte an diesem Identitätszeug ist ja, dass es eigentlich zum Schnarchen ist. Man ist mit diesen Themen zwangsverheiratet und weiss gar nicht, wie man sie loswird. Andererseits: Wenn irgendwelche Leute bequem dahocken und sich über politische Korrektheit und so weiter lustig machen, dann merkt man, dass viel auf dem Spiel steht und dass man das Mikro in der Hand doch nutzen muss.

Die Frage ist, welche Gespräche führe ich? Wie führe ich mich auf? Du hast vorhin das Stichwort Feminismus genannt – welchen Streitereien gebe ich mich als Künstlerin hin?

Ja, was sind denn deine Kriterien? Lass uns das Gespräch vielleicht entdramatisieren. Ich habe deine Arbeit mal als «pornography of the nerd» bezeichnet.

Ja, was meintest du eigentlich damit genau?

Eine üppige Sinnlichkeit, die aber mit einer unerbittlichen Strenge einhergeht. Die mich an deine deutsche Fotografieschule erinnert und an deinen Perfektionismus, den ich auch von hinter den Kulissen her kenne.

Da kommen wir zurück zu deiner Frage, wie tief man sich in etwas hineinbegibt. Ich zwinge das Nerdige den Zuschauern nicht auf. Es läuft nicht auf eine einzige, ein­deutige Sprache hinaus. Es ist ja ein Bild, das dich anschaut. Und was sagt es dir denn eigentlich? Ich war gerade bei einer Führung. Wir standen vor einem Bild von Oskar Kokoschka, der Karl Kraus gemalt hatte. Über dieses Bild wurde gesagt: «Ja, und in diesem Bild ist die Hand wichtig, denn er hat so debattiert und gestiku­liert, und hier gibts noch einen Schmetterling, der auf die Rastlosigkeit dieser Person deutet.» Punkt. Und dann findest du: «Oh, wow.» Genau wie die Führung damals im UNO-Hauptgebäude, während der gesagt wurde: «And this is an abstract work, it has whatever meaning you put into it.» Diese vermeintliche Genauigkeit, die gibt es doch in Wirklichkeit gar nicht.

Du tust jetzt so, als wären diese Statements absolute Statements, die alles im Werk vereinnahmen. Als würde der blosse Versuch, genau zu sein, etwas kaputtmachen. So ist es doch nie. Die Schönheit, die Wucht, die Didaktik und sogar die Symbolik: Das eine schliesst das andere nicht aus. Über Duchamps Pissoir sind ganze Bibliotheken geschrieben worden und trotzdem hat das Ding weiterhin eine immer mystischere, komischere, mysteriösere Ausstrahlung.

Das habe ich auch nicht behauptet. Die Genauigkeit kann doch auf unterschiedliche Arten stattfinden. Ich kann dir ein Fallbeispiel bieten, das so unglaublich didaktisch ist, dass ich mich fast schon schäme für meine Arbeit.

Gerne.

Okay. Wenn wir uns jetzt zum Beispiel ins Studio begeben und uns meine sogenannte «abstrakte Phase» an­schauen, dann ist das wie im Kochkurs. Mit all diesen verschiedenen Istzuständen der Zutaten. Da gibt es ein Stillleben, sagen wir ein Apfel, ein Hintergrund und erkennbare Referenzen. Du erkennst erstens das Objekt, zweitens erkennst du es als Bild, drittens als Komposition und du kennst auch die kunsthistorischen Referenzen. So wird das zu einem Objekt, das zwar abstrahiert, aber immer noch lesbar ist. Da ist eine Kugel, oder da sind drei Kugeln, die sind auch in der Komposition erkennbar, und im nächsten Schritt wird alles zu Farbflächen. Und im nächsten wiederum überlagern sich die Farbflächen. Diese Bilder sind allesamt in einem einzigen Prozess entstanden. Das heisst, eigentlich sind alle genau gleich konkret, wie auch genau gleich abstrakt. Total didaktisch. Ich weiss gar nicht, was du noch willst. Das ganze Repertoire wird auch auf der technischen Ebene durchgespielt und in der Festlegung der Grössen. Was habe ich an Entscheidungsvariablen als Künstlerin? Ich mach’s klein, so entsteht beim Betrachten eine Inti-mität. Ich mach’s gross und du bist überwältigt, nimmst aber deine eigenen Bewegungen im Raum besser wahr. Du beobachtest dich selber beim Versuch, das Bild zu lesen, und machst dir hoffentlich Gedanken darüber, wie du mittels deiner eigenen Referenzen im Kopf geschult bist. Zudem wird das Ganze haptisch durch-gespielt, es gibt die Lithografie, die Malerei, das Foto. Gerade wenn alles peinlich didaktisch ist, wirst du in genau diesem Moment abgeholt vom Antlitz der Arbeit. Bestenfalls ist es wie Zauberei, und du denkst dir, «weiss gar nicht, was mit mir geschehen ist, aber wow, irgend­wie hat mich das verführt».

Bist du jetzt einfach sarkastisch, oder ist das die Idealvorstellung seitens der Zuschauer und Zuschauerinnen?

Ob du willst oder nicht: Visuelle Kraft ist mir wichtig. Und in ihrer Umsetzung bin ich tatsächlich nerdig. Ich könnte mir ja alles viel leichter machen, wenn es mir nur um die Inhalte ginge.

Ich merke jetzt …

… dass du meine Arbeit nie verstanden hattest?

Genau. Alles noch mal von vorne. Gerade in Sachen «pornography of the nerd» merke ich, dass ich zwar nicht das Nerdige genauer fassen muss, aber die Porno­grafie. Es geht nicht um Schmuddelporno, sondern um Big Budget Porn, so eine Art strotzende Feierlichkeit.

Warum nimmst du das Wort «Budget» in den Mund?

Weil die Arbeit doch ein luxuriöses Selbstbewusstsein ausstrahlt. Dabei geht es nicht um Euros. Denn das war sogar damals der Fall, als du noch Studentin warst.

Genau.

Auch damals hat es nicht so gewirkt, als ginge es um eine schnell improvisierte Zero-Budget-Arbeit.

Das Wort Budget stört mich.

Gut.

Als Künstlerin ist es mir wichtig, auch ein bisschen breitbeinig dazustehen mit meiner Arbeit. Das ist dann ein anderes Thema, oder?

Ja, sag doch.

Nee, das ist ein zu grosses Feld, wenn wir jetzt über Frauen und Männer in der Kunstwelt reden.

Du willst darauf hinaus, dass Frauen, die breitbeinig dastehen, protzig wirken, und bei Männern ist das akzeptabel.

Sowieso, klar, oder?

Jetzt habe ich das ausgesprochen, damit du das nicht selber sagen musstest.

Danke.

Ich wollte aber darauf hinaus, dass ich als didaktischer Propagandist es nur begrüssen kann, wenn du mit einem gewissen Pomp daherkommst. Man lässt sich gerne verführen von solch einer Arbeit.

Das ist ja das Schöne an unserer Zusammenarbeit. Wir ergänzen uns sehr gut. Du schuftest dich ab, auf ehrliche Art, und ich verstecke mich elegant hinter dem Schein der schönen Künste.

Mit welchen schönen Künstlern spielst du diese Versteckspiele am liebsten? Womöglich sind es gar nicht Künstler, vielleicht sind es …

Meine Nachbarn.

Vielleicht sind es Maler oder Fotojournalistinnen. Mit wem misst du dich, mit wem hast du ein Gespräch im Kopf, wenn du deiner Arbeit nachgehst? Sind es die Düsseldorfer, ist es Wolfgang Tillmans?

Es sind eher Leute, die abstraktere Arbeiten machen, beziehungsweise wohl auch viele Selbstgespräche. Und das hat schon auch etwas mit Malerei zu tun. Du hast es selber gesagt und ich muss es jetzt zugeben, ja. Die Malerei ermöglicht diesen Moment einer Arbeit, der zwar eine visuelle Sprache hat, aber einen neuen Raum öffnet, in dem man einfach verweilen kann. Das ist schon ein Ehrgeiz, der anders tickt als die didaktische Propaganda. Ob du es so willst oder nicht, das ist ein offenerer Raum zum Denken.

Ich stelle jetzt eine noch nervigere Frage, denn ich finde, sie drängt sich leider auf. Das Internet.

Oh.

Du hast vorhin beschrieben, es sei für dich eine Idealvorstellung, wenn Leute fast gezwungen werden, zu verweilen. Wenn sie eine andere zeitliche Beziehung aufbauen zu einem Bild als das, was normalerweise passiert. Hat sich da seit den Neunzigern etwas verschoben? Es gibt Studien, die beweisen, dass das Scrollen bei Google-Image oder Tinder, im Eiltempo von einem Bild zum nächsten, ein mildes Suchtverhalten auslöst. Mikro-erotische Kicks, neurologische Reaktionen, die mittlerweile unser Harddrive im Kopf ganz anders auf Bilder reagieren lassen. Ob diese Bilder nun sinnlich, semipornografisch oder eher trocken sind: Ziehst du auch in einem solchen Kontext alles so durch, wie du das noch 1999 durchgezogen hast?

Ich habe mir ja auch erlaubt, mit dem iPhone nach Indien zu fahren. Im Gegensatz zu meiner Mittelformat-Kamera, die eine gewisse Langsamkeit mit sich bringt, und die wiederum nicht nur das Bild – auf einer qualitativen Ebene – beeinflusst, sondern eben gerade eine andere Art von Bildermachen aufzwingt. Andererseits hat meine Arbeit etwas Anachronistisches. Die Langsam­keit, mit der ich eine Arbeit entwickle, ob es jetzt um Steindruck geht oder um ein Fotolabor. Das sind träge, altmodische Mittel, die mir nicht nur aus nostalgischen Gründen wichtig sind.

Du gehörst zu den allerersten Künstlern, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe …

And you don’t like artists.

No, I still don’t. Und es ist doch erstaunlich, dass man heute, anstatt sich deine Ausstellungen im Browser anzugucken, immer noch mit der U-Bahn hinfährt, um eine Atmosphäre aufzunehmen und um die Dinge an der Wand anzuschauen. Noch erstaunlicher ist, dass unser Anachronismus mit so viel Selbstbewusstsein gefeiert wird. Man merkt, dass sich die Kunstwelt nicht verbergen muss. Sie ist auf der Siegerseite. Sie bleibt, was sie ist, und wird momentan sogar noch grösser und stärker. Und das im Zeitalter des Internets. Man müsste eigentlich ein bisschen Verunsicherung erwarten, aber nein. Wir werden immer planetarischer, die Budgets und die Summen werden grösser.

Es tut mir leid, nenn mich einen Freak, aber die Begeg­nung mit dem Bild macht einen Unterschied. Auch im Buch passiert etwas sehr Ähnliches. Das Buch ist ja auch ein Objekt, und ein Raum. Diese Qualitäten haben weiterhin Bestand.

The English translation of the interview is available in the “Swiss Grand Award for Art / Prix Meret Oppenheim 2019” publication published by the Federal Office of Culture.

Over the course of her artistic career, Shirana Shahbazi has developed a unique approach to the photographic medium that has earned her international recognition, both institutional and commercial. Working at the intersection of cultures, Shahbazi, who was born in Iran and emigrated to Germany before settling in Zurich in the late 1990s, is known for the polysemy of her photographs, which invite the viewer not only to contemplate, but also to deconstruct the various facets of the photographic act: the represented object and its sometimes political repercussions; the beauty and acuity of the eye mediated through a personal interpretation of a subject; and finally the power of the printed result, in all its material density.
Flirting regularly with abstraction, sometimes venturing into installation, Shirana Shahbazi’s works are much more than a test of the potential of analogue photography or the fascinating product of compositional virtuosity. They are the result of an elaborate artistic inquiry brought to life by technical expertise. Shirana Shahbazi was born in Teheran in 1974. A graduate of the Fachhochschule Dortmund and the Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zurich, she has presented her work in numerous exhibitions at venues including the Kunsthaus Hamburg (2018), Istituto Svizzero in Milan (2018), Peter Kilchmann gallery in Zurich (2017), KINDL Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin (2017), Kunsthalle Bern (2014), Fotomuseum Winterthur (2011) and the New Museum, New York (2011). Her works are held in major collections including Tate Modern, London, the Frans Hals Museum, Haarlem, Migros Museum für Gegenwartskunst, Zurich, Fotomuseum Winterthur, and the Museum of Modern Art and Guggenheim in New York. She was a winner in the Swiss Art Awards in 2004 and 2005.